Das beschäftigt mich in diesen Tagen doch sehr. Ich halte mich nicht für altmodisch oder neuen Technologien gegenüber negativ eingestellt, keineswegs. Jedoch suche ich sehr oft Werte und Automatismen, die es heute nicht mehr gibt, die ich daher vergebens suche.
Unstrittig auch, dass es eine Menge Fortschritte gibt. Doch häufig zu einem extrem hohen, unvertretbaren Preis. Nicht uninteressant, vielleicht sogar wichtig, zu wissen, daß´ ich Jahrgang 1952 bin, also das Licht der Welt sieben Jahre nach Ende des fürchterlichen 2.Weltkrieges erblickt habe. Das Erfreuliche an diesem Datum ist, daß unsere Generation bis vor Kurzem mit Krieg nichts zu tun hatte. Niemals hatte es in Zentraleuropa eine derart lange Friedensphase gegeben.
Ich habe drei Geschwister und dementsprechend lebendig ging es bei uns zu. Eltern, die sich buchstäblich für uns aufopferten und trotz mangelnder finanzieller Ressourcen es uns ermöglichten, ein gänzlich sorgenfreies Leben mit viel Bildung und Sport zu leben. Viele Dinge, die heute das Alltagsleben bestimmen, gab es nicht. Die wohl wichtigsten: Computer, Smartphone, Aids und Corona.
Das bedeutete, wir konnten uns zwar nicht weltweit vernetzen und verabreden, das Wetter für den Grillabend voraussagen oder ein Rezept herunterladen, andererseits mußten wir aber keine Angst haben, uns bei den ersten Bekanntschaften mit der körperlichen Liebe gefährlich zu infizieren, bzw. an einer Seuche zu krepieren.
Eines der großen Themen von heute beschäftigte uns auch nicht, unsere Gesellschaft nicht: Arbeitslosigkeit. Wer Arbeit suchte, der fand gewiß; und es waren die Jahre da alles immer nur in eine Richtung ging: aufwärts! Aus dem Schutt entstanden neue Städte, die Russen hatten die altmodischen Fabriken abgebaut und bei sich zu Hause errichtet, was bedeutete, dass in unserm Lande alles neu und modern war. In der Schule begegnete einem schon noch manchmal eine Lehrkraft, die sich schwer tat, den Tag nicht mit dem Hitlergruß zu beginnen, jedoch es wurden immer weniger, denn die natürliche Auslese tat ihre Arbeit. Und ehrlich gesagt, den Pythagoras konnte ein Altnazi auch nicht verändern …
Es kam die Zeit der Shake- und Schlaghosen, teilweise mit kleinen Kettchen oder anderen Applikationen in der aufsehenerregenden Außenfalte. Twist und andere Tänze bewegten uns und die ältere Generation hielt uns (wie alle älteren Generationen das tun) für völlig besoffen ob der neuen Haar- und Restmode, die so manchem Schlüpfer wegen der Rocklänge (besser Kürze) den Blick in die Freiheit gönnte.
Politisch kamen nach dem “Alten“ einige weitere reife Herrn, die mit mal weniger, mal mehr Fortune das Land lenkten. Ein Franz-Josef brachte etwas Leben und einen (mehrere) Skandale ins Spiel und so wurde uns früh die Illusion genommen, dass sich etwas geändert hätte. Herr Frahm (er nannte sich später Willy Brandt) machte einen bemerkenswerten Job, versöhnte sich mit dem Osten und wurde zum Dank von den eigenen Leuten abgeschossen (Helmut Schmidt). Dieser Helmut machte im Wahlkampf Versprechen, die den Staat bis heute enorm belasten und entwickelte ein soziales Netz, das a) heute weder abschaffbar noch b) auf Sicht finanzierbar ist. Später kam dann ein großer, starker, verlogener, weiterer Helmut und auch Angela, deren katastrophale Politik kaum ein Mensch bemerkte. Erst in den heutigen Tagen scheint auf, nicht, was sie getan, sondern was sie alles nicht oder verkehrt gemacht hat. Da es in den umliegenden europäischen Gemeinden auch nicht besser geworden ist, bewegen wir uns auf gleichbleibend niedrigem Niveau mit gelegentlichen Ausreißern nach oben oder unten.
Zwischendurch war die gute alte Deutsche Mark verschwunden und ich finde, ihr Verschwinden hat schon viele Dinge vereinfacht. Seien es Reisen oder Warenverkehr. Wahrlich eine Herkulesaufgabe war das, ebenso wie die Zusammenführung von Ost- und Westdeutschland, einem Ereignis, dem ich nicht die geringste Chance gegeben hatte und das doch eintrat. Hüben und drüben gibt es immer noch Dummköpfe, die dies bedauern.
Irgendwie fand ich meine frühere Welt spannender und intensiver, da einem nicht alles vorgekaut wurde und man nicht das Gefühl hatte, von derart vielen Analphabeten, Anderssprechenden oder wirren Geistern umgeben zu sein. Und irgendwie war das Schürfen von Geld schon wichtig, aber nicht so wie heute als goldenen Kalb abgefeiert. Und wollten wir auf einen Berg gehen, so bereitete man die Zugfahrt, die Versorgung und den Weg sorgfältig vor, während man heute den Nacken beugt, die entsprechende App bemüht und sich dann nicht wundern darf (wie mir kürzlich passiert), wenn einen an den Stufen der Tegernseer Klosterkirche eine Amerikanerin anspricht und fragt: „Excuse me, which country are we in anyway?“. Nun ja, Europa in 10 Tagen ist eine echte Herausforderung!
Lehrerverbände und Wissenschaft warnen schon lange (nicht erst seit den durch Corona entstandenen Defiziten) vor einer stark sinkenden Bildungsleistung bei Jugendlichen, einem sattsamen Desinteresse bei Erwachsenen. Schon oft zitiert der anscheinend unaufhaltsame Trend hin zu „panem et circenses“, der schon das alte Rom in den Ruin getrieben hat. Wenn einer Stadt einige Kindergärten und Jugendbildungsstätten fehlen, man aber das Geld aufbringt, für einen!!!!! Fußballspieler eine Ablöse von 200 Millionen Euro und ein Jahresgehalt von 20 Millionen zu bezahlen, so haben sich die ethisch vertretbaren Parameter in die Perversion verschoben. Wie nur noch der schnöde Mammon regiert, wird uns dieser Tage durch die WM in Qatar überdeutlich vor Augen geführt.
Gestatten Sie mir bitte, zuzugeben, dass mir, als Jungen vom Lande, die Städte zu kompliziert, zu laut, zu verschlingend geworden sind. Die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel erfordert meines Erachtens ein mehrjähriges Training für Ankauf der Fahrkarte, der Auskundschaftung des richtigen Fahrzeuges in die richtige Richtung, den Umgang mit Erbrochenem und kampfbereiten Jugendlichen, Taschendieben und einem extra Kraftaufbauseminar, wenn man seinen Koffer samt Rucksack aus den Bäuchen der unterirdischen Welt über eine kaputte Rolltreppe hinauf mehrere Stockwerke wuchten muß, immer im Nacken, dass der Anschlusszug nicht warten kann, da er eh schon rettungslos verspätet ist ….
Die Versorgung mit Alltagsgütern ist auch enorm spannend geworden und ich frage mich oft, schlendere ich so über die Märkte, wieviele Millionäre es wohl bei uns gibt? Da liegt die Flugmango neben der Papya, ein Kilo Tomaten 8,90 Euro, dry aged Rindfleisch zu 98 Euro das Kilo, wer kann das alles bezahlen? Aber anscheinend gibt es da Menschen, die das können, sonst würden Industrie und Wirtschaft das nicht anbieten. Ja, ich weiß auf der anderen Seite gibt es tolle Schnäppchen und Billigheimer. Die haben allerdings den Nachteil, dass die angepriesenen Produkte mehr Bayer Leverkusen und Hightech in sich tragen als Wiese und/oder frische Luft. Man weiß längst, dass der Käse auf der Pizza kein Käse mehr ist, aber verboten wird dies nicht. Wie so Vieles andere auch.
Dem Feiern des Fortschrittes, so vieler angeblich Glück- und Zufriedenheit, Vereinfachung bringender Erfindungen und Neuerungen kann ich mich leider nicht anschließen. Teilweise überfordern sie mich, teilweise finde ich sie bescheuert. Bei Verwaltungsfragen denke ich oft, ob e es wirklich erforderlich ist, dass man vor der Lösung der Aufgabe noch einen bürokratischen Knoten hineinarbeitet. Reformen werden manchmal verabschiedet, kaum erklärt und noch vor der Einführung wieder verworfen. Handwerklich einfach schlecht gemacht, zu kompliziert, zu bürgerfremd.
Kann mich auch nicht erinnern, dass wir früher ausländische Clans hatten, die von Raub, Geldwäsche und Kapitalverbrechen leben, ganze Polizeiorganisationen verhöhnen und doch Gastrecht bei uns genießen. Ich bin politisch alles andere als rechts aber was da so abgeht kann ich halt nicht nachvollziehen. Besonders dann nicht, wenn einem als „Normalbürger“ ein Strafzettel ins Haus flattert und man erlebt, welch Einsatz und Akribie unser Staat zeigt, die Tat einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 8 km/h zu sühnen!
Irgendwie ist alles im Fluß. Leider nicht immer in die richtige Richtung. Natürlich ist es ein Privileg des Alters, nicht alle Neuerungen, Trends und Entwicklungen zu verstehen, aber ich habe das Gefühl, dass derzeit einige Werte über den Jordan gehen, von denen ich dachte, sie hätten Allgemeingültigkeit, egal welche Zeit und welche Regierung.
Ich bin weit davon entfernt, einen Schrein um meine Jugend zu zimmern und diese dort zu verherrlichen, sicher nicht. Trotzdem werde ich das Gefühl des „Bin bestohlen worden“ nicht los. Denn manche Dinge sind ohne Not verschwunden, manche auch in Konsequenz. So auch wegbegleitende Menschen, Zähne, Möglichkeiten, Freuden. Aber das ist kein Diebstahl, das ist das Leben als Abfolge, als Fortschreibung.
Obwohl die Erde rund ist, brennt sie dieser Tage an allen Ecken und Enden. Traurige Gestalten, völlig ohne Skrupel, sorgen dafür, dass dies möglich ist. Bei den krassen Veränderungen war meine Welt leider dabei. Denke nicht, dass man auf eine Wiederkehr hoffen sollte. Zu viele Gangster sind oben, zu viele Milliarden (seit gestern 8) Bedeutungslose sind unten.
Mit trotzdem ungetrübter Lebensfreude grüßt Sie
Ihr
Gehhobmidochgern
Kommentar verfassen